…nun ist es also passiert: Genau acht Tage sind wir unterwegs, da bekommt die Kaschubin ihren Campingkoller. Bordeaux war unser Ziel, Heike steuerte den Nugget beschwingt über die Landstraße, in jedem Örtchen entzückt mit einer Hand die Kamera haltend ob der vielen malerischen Motive, die sich ihr boten. Wir machten spontan einen kleinen Abstecher zur Grotte de Pair-non-Pair, einer Höhle mit uralten Felszeichnungen, hinterlassen sowohl von Neandertalern wie auch vom Homo Sapiens. Das Wetter war großartig, die Kaschubin summte leise „On the Road again“ von Canned Heat vor sich hin. Der Tag hätte so harmonisch enden können wie er begann. Doch als wir uns Bordeaux näherten, da schwand der Enthusiasmus dahin. Ich persönlich mag im Urlaub eh keine Großstädte sehen – wenn man im Ruhrpott zuhause ist, und sei es nur am Rand davon, hat man jeden Tag Großstadt genug um sich rum. Heike aber hatte Schilderungen von Bordeaux gehört, die es in höchsten Tönen priesen. Sicher ist Bordeaux eine schöne Stadt, oder besser, ein Teil davon ist schön und sehenswert, wie es auch bei Paris der Fall ist. Oder bei Köln. Oder sogar Hagen. Leider empfing uns Bordeaux aber auch auf andere Weise typisch wie Paris, nämlich mit irrsinnigem Verkehrsaufkommen und Stau. Die Kaschubin wurde immer einsilbiger, ein sicheres Anzeichen für heraufziehende Gewitter. Von einem Besuch der Stadt war nicht mehr die Rede, wir wollten beide nur noch raus aus dem Gedränge. Als Ausweichziel bot sich die Dune de Pilat bei Arcachon an – immerhin Europas größte Düne überhaupt. Die Düne, welche die Kaschubin ursprünglich gar nicht interessiert hatte, entwickelte plötzlich eine große Anziehungskraft. Und schließlich liegt ja hinter der Düne das Meer, das sie so liebt.
Die Düne hielt was sie versprach – imposant leuchtete der sandige Riese gelb durch die Bäume, die die Straße säumten. Schwarze Punkte waren auf dem Rücken des Ungeheuers und an seinen Flanken zu sehen: Wie Ameisen bekrabbelten Menschen den Leib des Leviathans, der sich hier kilometerlang an der Küste entlang windet. Leider waren die örtlichen Campingplätze nicht so dolle: Riesige Flächen, teuer und mit Rundumbespaßung für Touristen. Von einem tönte uns sogar bayrische Blasmusik entgegen – das nackte Grauen. „Hier muss es doch irgendwo einen schönen Campingplatz geben“, stellte die Kaschubin fest, in der Stimme schwang der Vorwurf mit, das ich mich darum ja längst mal gekümmert haben könnte. Ich schwieg dazu, weil das ja getan hatte und genau wusste, dass Diskussionen jetzt das letzte waren, was die Kaschubin brauchte – und ich auch. Schweigen war aber auch gefährlich, also warf ich zurückhaltend und in beruhigendem Ton ein, wir würden bestimmt eine Rastmöglichkeit zumindest für eine Nacht finden – schließlich waren wir in einem Campingmobil unterwegs und weitgehend ungebunden.
Zum Glück tauchte dann tatsächlich ein Rastplatz am südlichen Ende der Düne auf, mit dem verheißungsvollen Namen „Schönes Frühstück“ (Le Petit Nice), zumindest ist es das was das Internet als Übersetzung liefert. Es begann bereits zu dämmern, also entschieden wir, es damit zu versuchen. Wir landeten in einem Kiefernwald nah am Strand, und zunächst war nicht zu erkennen, das wir da einen Glücksgriff getan hatten. Es sah eher trist aus, und das brachte das Fass zum Überlaufen. „Zieh nicht so ein Gesicht“, raunzte die Kaschubin mich an. „Was passt dir denn jetzt schon wieder nicht?“ Die Frage überraschte mich, weil mir eigentlich alles ganz gut passte und ich gerade dabei war, die Umgebung in mich aufzunehmen. Dann wurde mir klar, dass die Kaschubin eigentlich sich selbst meinte. Das Leben „on the road“ mit all seinen Unwägbarkeiten hatte sie doch mehr angestrengt als sie sich eingestanden hatte. Dazu trug die Enttäuschung, dass es tatsächlich nicht an jedem Flecken der Erde schön und aufregend ist, weiter zu ihrer schlechten Laune bei. Das Auf- und Abbauen der Betten bei jedem nächtlichen Stopp wurde ihr zu unerträglichen Last. Kurzum: ALLES WAR MIST! Und mit der zusätzlich aufziehenden Migräne verwandelte sich die Kaschubin zurück in Heike. Also: früh ins Bett und den Scheißtag endlich zum Teufel schicken.
Zum Glück sah die Welt am Morgen danach wieder besser aus. So schlecht getroffen hatten wir es nämlich gar nicht. Schon am Abend waren uns einige Drachensegler am Strand aufgefallen. Gleich drei Restaurants und ein Toilettenhaus gab´s dazu – ganz so armselig konnte der Platz also nicht sein. Heikes Laune stieg soweit, dass sie sich sogar von einem kurzen Regenschauer nicht von einem Fotospaziergang abhalten ließ.
In der Tat war die Ecke, an der wir gelandet waren, ein Paradies für Gleitschirmflieger: Der auflandige Lufstrom vom Meer her wird von der hier rund 30-40 Meter hohen Düne nach oben gelenkt und sorgt für einen permanenten Aufwind, auf dem man zur Not stundenlang segeln kann. Hinzu kommt ein breiter flacher Sandstrand. Das Licht und die Weite des Meeres versöhnten Heike mit der Welt, und schon bald sann sie gutgelaunt über unser nächstes Ziel nach: Einen Platz, an dem man erst mal ein paar Tage bleiben könnte, das wäre was. Ein Campingplatz, den sie schon im letzten Jahr besuchen wollte, fiel ihr wieder ein: Le Gurp – wo war das nur gleich? Ah, an den Stränden südwestlich der Gironde-Mündung, beinahe am Point du Grave, dem am Festland die im Krieg so arg gebeutelte Stadt Royan gegenüber liegt. Was sagt das Navi – zwei Stunden Fahrt? Dann nix wie hin…
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