… ging stets zu Fuß, fuhr nie Mercedes. Mit diesem Zweizeiler von Heinz Ehrhardt lässt sich trefflich die nächste Episode beginnen, denn Fußmärsche und Schuhwerk spielen darin eine nicht unerhebliche Rolle. Nachdem die Kaschubin mir nur eine kleine Reisetasche für meine Garderobe und anderes Gepäck zugestanden hatte, damit sie im Camper Platz genug für ihre umfangreiche Fotoausrüstung hat, stand ich am ersten Tag nach unserer Ankunft in Fouras vor einem Problem. Es war eindeutig zu heiß für meine Halbschuhe, und alles was ich aus Mangel an Platz sonst mit hatte, waren meine Badelatschen. So besohlt machte ich mich dann mit der Kaschubin auf, um die kleine aber feine City von Fouras mit dem Fort Vauban zu erkunden. Im Schlepptau hatten wir unsere vierbeinigen Begleiter Gina und Lissy, die eifrigen Lesern dieses Blogs ja schon ein Begriff sein dürften, und die ich aus verschiedenen Gründen bislang vergessen habe in meine Schilderungen einzuführen: die phlegmatische Lissy, weil sie so pflegeleicht ist, dass man manchmal vergisst, dass sie überhaupt da ist, und die hyperaktive Gina. Ich sags gleich: 2,5 Kilometer in Badeschlappen KANN man machen, SOLLTE man aber nicht. Die Mistdinger scheuern nach einer Weile höllisch. Ablenkung davon verschaffte mir nur der wirklich fantastische Ausblick auf das Meer und die von Inseln gerahmte Bucht. Die Küste erinnert hier ein wenig an das Wattenmeer, denn die Bucht ist flach und voller Schwemmsand und Schlick, die bei Ebbe auf weiten Flächen trocken fallen. Wobei trocken nicht der richtige Ausdruck ist für die an flüssigen Beton erinnernde Pampe, in die man wadentief einsinkt.
Ein Muschelparadies, dass weiß der zoologisch bewanderte Kenner und sieht der Laie anhand der Myriaden von Schalen und Splittern, die einen großen Teil des Strandmaterials bilden. Zum typischen Bild der Küste hier zählen auch die Carrelets, kleine überdachte Plattformen auf Stelzen, von denen die Fischer ihre Reusen ins flache Wasser senken. Vom Fort Vauban, das auf einem kleinen Landvorsprung an der Südseite von Fours liegt, hat man zudem einen tollen Blick auf die I´le de Oleron, auf das mitten aus der Buch ragende Fort Boyard mit seinem prägnanten elliptischen Grundriss und zu meinem Leidwesen auch auf die I´le Madame,die sofort das Interesse der Kaschubin weckte, aber dazu später. Zur Stärkung gab es nun erstmal leckere Pizza, dann ein leckeres Eis und dann flanierten wir noch eine Weile durch die City. Derweil hatte Gina beschlossen, es sei nun an der Zeit, unsere durch ihre in den letzten Stunden zur Schau gestellte Gutmütigkeit erlahmte Wachsamkeit auszunutzen. Ein kleiner Junge, vielleicht sechs Jahre alt, flitzte auf einem Skateboard an uns vorbei, und im Bruchteil einer Sekunde war Gina hinter ihm her und zack – hatte sie ihm in den Hintern gekniffen. Zum Glück nahm der junge Mann es sportlich und ohne eine Träne zu vergießen, rieb sich lediglich die Arschbacke, antwortete auf ein fragendes „cest bon?“ mit einem hochgereckten Daumen und skatete davon. Der Kaschubin, der Blutfehden von Haus aus nicht unbekannt sind, wurde trotzdem mulmig, und sie hatte es plötzlich eilig, wieder zum Campingplatz zu gelangen, immer in der Hoffnung, die großen Brüder des Kleinen würden dort nicht nach uns suchen. Aus diesem Grund fiel auch ein geplanter Einkauf von Lebensmitteln äußerst kurz aus und beschränkte sich auf das Wesentliche: eine Stange Baguette. Ich hingegen war einfach nur dankbar, die Badelatschen ausziehen zu können. Hätte ich gewusst was mir noch bevorstand, hätte ich mich glücklich gepriesen, überhaupt Badelatschen zu haben. Von Mulmigkeit war tags darauf bei der Kaschubin wenig zu spüren, vielmehr stemmte sie die Fäuste in die Hüften, betonte, ihr sei langweilig und hielt mir vor, nichts zu ihrer Unterhaltung beizutragen. Ich hätte gefälligst, während sie ihre Morgentoilette absolvierte, ein komplettes Tagesprogramm ausarbeiten können, wie das ein RICHTIGER Mann selbstverständlich getan hätte. Mein schwach vorgetragener Protest, sie habe doch bereits gestern beschlossen, allein eine Fotowanderung rund um die Halbinsel, auf der Fouras liegt, zu unternehmen, wurde ungehalten beiseite gewischt. Wichtig sei doch nun erst einmal, unsere Vorräte aufzufüllen, auch das hätte ich als RICHTIGER Mann doch erkennen müssen.
Ich muss an dieser Stelle die Kaschubin in Schutz nehmen. Viele kaschubische Männer sind in der Tat Nichtsnutze, die nach Tagen lebensgefährlicher Lastwagenfahrten über kaum gesicherte Bergpfade einfach so palavernd und Rauschmittel zu sich nehmend vor dem Haus sitzen und Zeit verschwenden. Ohne die resolute Art, die die kaschubischen Frauen entwickelt haben, um ihre trägen Kerle an die RICHTIGE Arbeit zu bekommen, wären viele kaschubische Familien dem Untergang geweiht. Sowas verinnerlicht man natürlich, und so verstehe ich ihre Anwürfe als reinste Form der Liebe und der Sorge, unser Unternehmen, das elementar von unserem beiderseitigen Beitrag abhängt, könne scheitern.
Die Kaschubin musste also MAL WIEDER ALLES ALLEINE machen. Als allererstes Einkaufen, wozu ich ihr als RICHTIGER Mann bitteschön umstandslos den Weg zum nächsten Supermarkt weisen sollte. Ich erinnerte mich also an den nahegelegenen „Super U“-Markt, den ich schon auf der Hinfahrt gesehen hatte, und wollte uns dorthin lotsen. Leider hatte ich dabei vergessen, dass mit „Supermarkt“ nur eine Filiale des deutschen Ausbeuter-Discounters Lidl gemeint sein konnte. Schließlich gibt es nur dort die supersüße Orangenlimonade Marke Freeway und jenen aromatischen Käse „mit dem Mönch oben drauf“, den die Kaschubin in den fraglichen Filialen auch mit verbundenen Augen am Geruch gefunden hätte. Nach längeren Konsultationen diverser Nachschlagewerke im Internet fanden wir schließlich einen Lidl-Markt ca. 10 Kilometer entfernt in Rochefort, praktischerweise in unmittelbarer Nähe zu einem Decathlon-Markt, einer Einrichtung, die in der Kaschubin heimatliche Gefühle weckt und die sie daher auch zuhause regelmäßig frequentiert, um sich mit der neuesten Ausrüstung für hochalpine Extrembergsteiger auszustatten. Bereits die Ansicht dieses Gebäudes reichte, um die Laune der Kaschubin beträchtlich zu verbessern, war ihr doch nun klar: Hier würde es ihr an nichts mangeln! So war sie nach dem erledigten Einkauf auch voller Tatendrang und beschloss: Nun, wo man schon mal in Rochefort sei, könne man auch gleich die I´le Madame besuchen. Ich wagte keinen Einwand (ganz einfach weil ich keinen hatte) und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Ich muss dazu nochmal auf die Sache mit den Badelatschen zurückkommen. Inzwischen zu der Einsicht gelangt, dass diese Dinger zwar hervorragend in feuchten, semisubmersen Umgebungen wie beispielsweise einer Duschkabine funktionieren, jedoch bereits beim Marsch von der Umkleidekabine bis zum Beckenrand in einem herkömmlichen Schwimmbad die Grenzen ihrer Langstreckentauglichkeit aufzeigen, begann ich anfällig für die Insistierungen der Kaschubin zu werden. Die zielten nämlich darauf ab, ich solle es doch mal mit FLIP-FLOPS versuchen. Sie habe damit schließlich schon diverse 8000-er bestiegen, was die Eignung dieses früh-ägyptischen Schuhwerks als luftige Allround-Fußunterlage hinreichend belege. Ich kaufte also bei Lidl ein Paar Flip-Flops aus Plastik und Schaumgummi. Im Wagen sitzend fühlten sich die Dinger am Fuß auch gar nicht so verkehrt an. Im Bewusstsein, das man gut daran tut, auch mal auf andere und besonders seine erfahrungsreiche Partnerin zu hören, machte ich mich mit ebenjener auf den Weg zu I´le Madame. Dieser Weg hielt jedoch ein Hindernis bereit, das selbst die hartgesottene Kaschubin vor eine große Herausforderung stellte. Denn der Weg führte über die Charente, und irgendjemand hatte beschlossen, die dazu erforderliche Brücke statt gerade auf dem kürzesten Weg über den Fluss in einem HOHEN Bogen zu spannen. So imposant und ästhetisch dieses architektonische Kunstwerk von Ferne aussehen mag, so nervenzerfetzend ist diese Bauweise für Campingbusfahrerinnen, zumal kaschubische. Allerdings besann sie sich auf ihre Bergpfad-LKW-Fahrer-Gene, wies mich an, aus dem Beifahrerfenster hängend darauf zu achten, dass die Räder nicht auf losem Geröll den Halt verloren, und manövrierte uns dann im Schritttempo – die gefährlich enge vierspurige Straße fest im Blick – auf die andere Seite des höllischen Viaduktes. Nun nahmen wir gestählt durch die gemeinsam bestandenen Gefahren den Weg nach Port-de-Barques und die I´le Madame wieder auf. Man muss dazu wissen, dass die I´le Madame – der Name sagt es schon – eine Insel ist, übrigens eine unbewohnte. Da sie in einer flachen Bucht liegt, kann man sie – wenn man unbedingt will – während der Ebbe über einen holprigen, ca. einen Kilometer langen Kiespfad erreichen. Als wir an die Stelle kamen, an der dieser Pfad landseitig beginnt, parkten wir, um – so die Kaschubin – NUR MAL ZU GUCKEN – weswegen sie weichliche Vorschläge meinerseits, wegen der sengend vom Himmel lodernden Sonne doch einen UV-Schutz aufzutragen, brüsk zurückwies. Voller Zuversicht und Vertrauen in mein neues Schuhwerk behielt ich die Flip-Flops an – auch, weil ja kein kilometerlanger Gewaltmarsch nicht in Aussicht stand – eine drastische Fehleinschätzung, wie sich zeigen sollte. Denn als nach dem Studium der aushängenden Gezeitentabelle klar war, dass wir noch vier Stunden Zeit hätten, um trockenen Fußes zur Insel und wieder zurück zum Auto zu gelangen, war die Kaschubin nicht mehr zu halten. Schon nach knapp 100 Metern auf dem steinigen Pfad wurde mir klar, dass die Flip-Flops und meine Füße keine Freunde werden würden. Die Sohlen hatten eine andere Vorstellung von der richtigen Fußstellung als meine Füße, die es naturgemäß besser wussten. Das Ergebnis war, das die Flip-Flops ständig schräg unter meinen Füßen hingen, wobei der große Zeh vorne und die Ferse hinten zur Hälfte überstanden. Die Treter wurden nur durch den Steg vorne zwischen den Zehen daran gehindert, vollends unter mir hinweg zu rutschen. Der Steg, geformt um LÄNGS möglichst bequem zwischen die äußersten unteren Extremitäten zu passen, kam dadurch beinahe in QUER-Lage in die Zehenspalte, während die Fluchtversuche der Sohle erhebliche Zugkräfte entwickelten. Das Ergebnis waren – nun – Schmerzen. Die Selbstachtung verbietet mir, näher darauf einzugehen. Ich begann mich allerdings, nachdem wir die Insel zur Hälfte umrundet hatten, zu fragen, ob die Ansicht weiterer Hecken, Sträucher, Felder und eines alten Forts, dieses Martyrium rechtfertigte.
Aber ich tue der I´le Madame Unrecht – es ist wirklich wunderschön dort, zumindest wenn man keine schmerzenden Füße hat. Übrigens erwies sich auch der komplette Verzicht auf Schuhwerk als nutzlos. Auf dem rauhen, heißen Asphalt der Inselstraßen waren meine Fußsohlen alsbald gar gekocht und wund. Also wieder die Flip-Flops an. Wenn Jesus die Dinger auf dem Kreuzweg getragen hat, weiß ich nicht was die größere Folter war: Die Schuhe oder das Kreuz zu tragen. Nunmehr nur noch zu Trippelschritten fähig, machte ich mich auf den Rückweg über den Kiespfad zum Festland. Die Kaschubin, die wie zum Hohn auf IHREN Flip-Flops und mit den Hunden weit vorauseilte, war bald nur noch gleich einer Fata Morgana verschwommen in der wabernden Hitze am Horizont zu sehen. Aber ich hielt durch. Auf blutigen Stümpfen erreichte ich schließlich den Camper, warf die Flip-Flops mit aller Verachtung, zu der ich fähig war, in die hinterste Ecke: Ihr habt mich gequält, aber nicht besiegt! Auf dem Rückweg nach Fouras machten wir dann auf Vorschlag der Kaschubin nochmal bei Decathlon halt und besorgten für mich ein paar Treckingsandalen. Ich hätte gleich darauf kommen sollen, dass nur römisches Schuhwerk, auf dem zu Fuß ein ganzes Imperium errichtet wurde, für mich die richtige Lösung sein konnten. Die Dinger sind super bequem und perfekt zum Wandern. Die richtige Ausrüstung für unsere weiteren Abenteuer!
Langweilig 😂😂😂