Ich habe den 13. Platz beim Fotomarathon in Düsseldorf gemacht. Ja, ein bisschen stolz macht mich das. Allerdings gibt es etwas, dass mich noch nachhaltiger beeindruckt, als die Veranstaltung und meine Platzierung. Es ist die Begegnung mit Marco (42), einem Obdachlosen aus Düsseldorf, mit dem ich diese Serie erstellt habe.

Teilgenommen haben wir (Tanja, Roswitha, Jörg und ich) aus reiner Neugier. Vorausgegangen war ein Fotomarathon mit dem VHS Fotoclub. Der war lustig und aufregend, aber die Ergebnisse eher mau.

Und nun wollten wir wissen, wie es bei einem professionellen Fotomarathon zugeht und wie wir uns dabei schlagen mit unseren Fotos.

Was ist ein Fotomarathon eigentlich? Es ist ein Tag voller Fotografie, Kreativität und irgendwie auch Stress. Morgens reisen alle an und keiner weiß, was er im Laufe des Tages fotografieren wird. Denn das Oberthema sowie die Unterthemen werden erst zu Beginn des Marathons bekanntgegeben. Vier Themen bekamen wir morgens, die nächsten vier Themen gegen Mittag. Diese Themen gilt es dann fotografisch umzusetzen. Erlaubt ist am Schluss je Thema nur ein Bild. Die Reihenfolge der Themen ist zwingend einzuhalten, Bildbearbeitung tabu, einzige Ausnahmen sind Monochrom und Doppelbelichtung, die aber schon kameraintern eingestellt werden. Das, was auch früher mit analogen Kameras möglich war. Am Ende muss außerdem klar eine Serie erkennbar sein. Also gibt man am Ende des Tages acht Bilder „out of cam“ ab. Das heißt, man fotografiert bewusster, konzentrierter, wählt den Bildausschnitt von vorneherein passend usw.

Man kann als Vorbereitung natürlich sein Auto vollpacken und hoffen, dass irgendetwas brauchbar ist für die Themen, die vorgegeben werden.

Oder aber so wie ich ganz unbedarft an die Sache herangehen. Natürlich habe ich mir zuhause Gedanken gemacht, wie ich an die Sache herangehe. Man, was habe ich mich teilweise verrückt gemacht. Bereut, mich überhaupt angemeldet zu haben. Bis ich mal wieder…so wie auch jetzt, während ich den Text schreibe…nachts nicht schlafen konnte. Und dann habe ich reflektiert. Was fotografiere ich gerne? Was macht mir keine Angst? Womit fühle ich mich wohl, wenn ich die Kamera in der Hand habe?

Und dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass ich gerne Menschen fotografiere. Nicht im Studio, nicht gestellt. Nein, fremde Menschen in ihrer Umgebung. Mit ihren Gefühlen, Stimmungen, in ihrem gewohnten und fremden Umfeld. Ich liebe es, die Menschen zu beobachten und dabei kennenzulernen. Mich faszinieren das Ungewisse, das langsam wachsende Vertrauen und die trotzdem bleibende Distanz.

Und so nahm ich mir vor, egal wie die Themen lauteten, in Düsseldorf einen Obdachlosen zu finden, der bereit ist, mit mir den ganzen Tag umherzuziehen und sich fotografieren zu lassen. Ich war überzeugt davon, dass ich das schaffe!

Und dann kam der Startschuss, wir hörten zum ersten Mal die umzusetzenden Themen:

Oberthema: „WIR FEIERN RHEINISCH“

Die acht Unterthemen:

  1. JEDES LOS GEWINNT!
  2. JUNGER MANN ZUM MITREISEN GESUCHT
  3. BITTE NICHT ZUSAMMENSTOSSEN!
  4. NIE KAUFST DU MIR EIN LEBKUCHENHERZ …
  1. DAS MACHT FREUDE, DAS MACHT SPASS
  2. AUF UND NIEDER – IMMER WIEDER n
  3. WARTEZEIT: AB HIER NOCH 45 MINUTEN
  4. LETZTE RUNDE RÜCKWÄRTS!

Ich schreibe mal lieber nicht wörtlich, was ich da dachte. Ich glaube, das könnt ihr euch nun denken…Was für ein Sch…!

Alle Themen schreien förmlich nach Kirmesmotiven! Boahr, blöder konnte es für mich echt nicht sein.

Als erstes setzen wir uns in ein Café. Die anderen schmiedeten Pläne, ich hielt nur Ausschau nach den Menschen um uns herum. Samstags morgens um zehn Uhr war es in Düsseldorf verdammt leer. Kirmes war auf der anderen Seite des Rheinufers. Toll…Erstens: wie hinkommen zu Fuß? Zweitens: geschlossene Kirmes ist langweilig.

Somit verbrachte ich eineinhalb Stunden damit Menschen anzusprechen. Es sollten ja auch nicht irgendwelche Menschen sein. Einige interessante Leute habe ich gefunden, jedoch war es ihnen zu lang den ganzen Tag mit mir rumzuziehen, sie waren fotoscheu oder oder oder. Und dann kam Marco. Lief mir entgegen, torkelte an mir vorbei. Ich wollte ihn erst nicht ansprechen, aber als er vorbei war drehte ich mich um, lief hinterher und sprach ihn an. Er sagte direkt zu. Ich wusste noch nicht so genau, ob ich damit glücklich war. Er sah mir fast noch zu „normal“ aus. Aber als er sagte, wir müssen erst einmal einkaufen gehen, da merkte ich, hier ist nix „normal“. Einkaufen? Mir war sofort klar, er braucht Alkohol. Es meldete sich die sozialkritische Seite in mir. Wie ist der Tag im Leben eines Obdachlosen in Düsseldorf? Genau das wollte ich doch!

Ich ging neben Marco her zum Rewe. Alleine diese mitleidigen Blicke rüber zu mir von den wenigen anderen  Passanten…das war schon eine Erfahrung. Ich als Frau mit so einem…ja, mit was denn überhaupt? Man konnte förmlich hören, wie die Schubladen in den Köpfen aufgehen und ohne näheres Wissen über jegliche Situation wurden wir eingeordnet. Es ist zum kotzen!

Wir also rein ins Rewe und wieder raus mit zwei Pullen Alkohol. Naja, okay, ich hatte mir dann doch eher ´ne Cola mitgenommen.

Marco hat die ganze Zeit geredet. Ohne Punkt und Komma. Er will doch nur seine Arbeit machen. Ob ich nicht Arbeit für ihn habe. Er will eine Aufgabe. Er will Geld verdienen. Er will wieder eine Wohnung haben. Er will keine Schmerzen mehr haben. Er will doch nur sein Leben. Er lief neben mir her und redete. Zwischendurch bückte er sich und hob Zigarettenstummel auf. Mal zündete er sie sofort an, mal bröselte er die Tabakreste in seinen Tabakbeutel. Ich bin eine Weile einfach nur neben ihm hergelaufen. Habe zugehört.

Bis er irgendwann stehenbleibt und mich fragt, was wir denn nun machen sollen. Dachte ich echt zwischendurch noch, dass ich den Fotomarathon einfach Fotomarathon sein lasse, kommt Marco plötzlich auf den Punkt. Ich erkläre ihm den Ablauf, sage ihm die Themen und er fängt an Ideen zu entwickeln. Dabei setzen wir uns auf eine Bank. Er erzählt plötzlich wieder alles Mögliche aus seinem Leben. Und stockt, sieht etwas, einen Oldtimer und sagt mir genau, welche Marke das ist, welches Baujahr, welche Besonderheiten das Auto hat, sogar welche Schwachstellen es hat und wie es restauriert werden muss.

Das ist nicht das einzige Mal im Laufe des Tages, dass er mich überrascht. Marco weiß Dinge, über die ich nie etwas gehört habe! Zwischendurch komme ich mir dumm vor, soviel Wissen steckt in seinem Kopf. Ich frage ihn, woher er das alles weiß?! Es gibt soziale Einrichtungen in Düsseldorf für Obdachlose, da geht er hin und schaut fern, geht ins Internet, liest und erkundigt sich über alles was er wissen will.

Er spricht auch darüber, dass er Alkohol braucht, um diese Art des Lebens auszuhalten, manchmal reicht der Alkohol aber nicht mehr, dann muss auch schon mal was Stärkeres her. Ganz offen spricht er über die Tabletten, die er sich dann besorgt. Wie sie wirken, welcher Wirkstoff das ist, wie abhängig sie machen, all das weiß er ganz genau.

Und trotzdem geht es nicht ohne. Im Verlauf des Tages merke ich auch warum. So ein Leben erträgt man nüchtern nicht. Und wer jetzt sagt, selbst Schuld, dass man dort landet, dem wünsche ich alles Gute für sein Leben!

Die erste Flasche Alkohol ist mittlerweile fast leer.

Als erstes Thema sollen wir unsere Teilnehmerzahl im Foto inszenieren. Ich habe eine Spraydose mit Wasser dabei. Auf eine Mauer sprayt Marco die Nummer. Währenddessen schreit von weitem jemand, dass er mit dieser Sauerei aufhören soll. Derjenige hat im Grunde natürlich recht gehabt. Wusste er ja nicht, dass es nur Wasser ist. Für mich war es aber die Gelegenheit, Marco in dem Moment zu fotografieren, in dem er sich erwischt fühlt. Zack, erstes Thema ganz zu meiner Zufriedenheit erfüllt.

Das zweite Thema “ Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ ergab sich ganz spontan, als er auf einer Skulptur einen Löwen entdeckt und unbedingt ein Foto von seinem Löwen-Tattoo haben wollte. Ich konnte gar nicht so schnell die Kamera einstellen, wie er schon sein T-Shirt auszog und posierte. Lange stillstehen kann er nicht. Deswegen war ich die ganze Zeit hochkonzentriert, habe sehr genau auf ihn geachtet was er tut, was als nächstes kommen könnte, um fototechnisch darauf reagieren zu können.

Bitte nicht zusammenstoßen“, das Thema konnte ich gleich mit an der Skulptur umsetzen, als er neben dem Totenkopf die Flasche ansetzt. Die Assoziationen lasse ich dem Betrachter bei diesem Motiv völlig frei. Ich denke aber, dass alle zu einem ähnlichen Ergebnis kommen.

Dann liefen wir etwas unschlüssig durch die Gegend. Die nächste Aufgabe fand ich doof. „Nie kaufst du mir ein Lebkuchenherz“…Menno, wer denkt sich so etwas aus? Dabei ist das Ergebnis dann sogar zu einem meiner Lieblingsbilder in der Serie geworden.

Zwei Frauen, die in einem Café saßen und uns beobachteten (unverhohlen kritisch) sprach ich trotzig einfach an, ich weiß gar nicht mehr genau mit welchem Wortlaut. Ich war es leid, ständig nur misstrauisch beäugt zu werden. Ich stellte mir vor, dass das jeden Tag so wäre…wie hält man das aus? Auf jeden Fall entwickelte sich trotz deren anfänglichem Kopfschütteln ein sehr nettes Gespräch. Plötzlich sahen sie Marco anders. Dachten nach und holten ihn aus der Schublade raus. Wurden ihm gegenüber offen. Und daraus entstanden Ideen. Ein angrenzender Designladen wurde uns empfohlen, da hätten sie Lebkuchenmänner gesehen. Das wäre doch passend. Wir also rein in den Laden, das nächste Gespräch kam zustande mit einer sehr netten Verkäuferin, und wir bekamen den Lebkuchenmann aus Jute sogar geschenkt! Marco hat ihn dann nach dem Foto ganz stolz an seinen Rucksack gehängt.

Tja und nun musste ich zum Treffpunkt, um die nächsten Themen abzuholen. Marco wollte aber nicht mit dorthin. Er bräuchte eine Pause und wolle sich seine Tablette besorgen. Die zweite Pulle war übrigens mittlerweile auch leer. Wir machten einen Treffpunkt und eine Uhrzeit aus, er sagte, er würde pünktlich da sein. Was ich denn von ihm halten würde. Das wäre doch wohl selbstverständlich. Ehrlicherweise habe ich gedacht, dass es das nun war. Ich habe mich geärgert, dass ich daran zweifele, war gleichzeitig aber auch wieder sicher, dass er kommt. Diese widersprüchlichen Gedanken in einem…es ist doch echt blöd. Einfach mal optimistischer an die Sachen rangehen, was soll denn passieren, außer dass man scheitert.

Als ich zu dem Treffpunkt für die nächsten Themen kam, hatte ich das Gefühl eine andere Welt einzutauchen. Wie viele Reize sind an diesem Tag schon auf mich eingestürzt. Eigentlich war ich schon fix und fertig.

Die Versorgung und Organisation war aber vorbildlich. Es gab ein paar Snacks und Getränke. Und die nächsten Themen. Mannomann, besser als die ersten fand ich die auch nicht. Egal. Meine Neugier trieb mich zum Treffpunkt, den ich mit Marco ausgemacht hatte.

Mittlerweile war die Altstadt voll. Die ganze Straße stank nach Bier. Dieses wurde auch in Massen konsumiert. Jede Menge Gruppen allen Alters und Geschlechts tranken literweise riesige Gläser gefüllt mit Bier leer. Ist das „Wir feiern rheinisch“? Ich kann gar nicht genau mein inneres Gefühl beschreiben. Ich kam mir vor, als ginge ich in Zeitlupe durch diese Massen. Gelächter und Gejohle dröhnte in meine Ohren. Überall künstlich aufgesetzte Fröhlichkeit.

Hier tobt das Leben! Hier treffen sich die Macher, die die es geschafft haben. Hier wird gezeigt wer man ist, was man hat. Nebenan wird auf der Kö flaniert, der Snob ist hier unterwegs. Alkohol gehört dazu! Hier ist das richtig!

Und dann sehe ich in meinem Inneren Marco neben mir. Sehe förmlich, wie sich alle umdrehen würden zu uns und ihn verächtlich begutachten würden. Fragen in den Blicken:“Was ist denn das für einer?“ Ein Nichtsnutz, Schmarotzer in unserer Gesellschaft, hängt an der Flasche…weg damit!

Und im gleichen Moment kommt die Verachtung in mir hoch für unsere Gesellschaft. Also nichts wie weg hier!

Ich schrieb ja schon, dass Marco die Kippen aufsammelt. Ab und an fragte er rauchende Personen ganz lieb, ob sie eventuell eine Zigarette für ihn haben. Diese abfälligen Blicke, das demonstrative Wegdrehen, es ist ätzend! Weil ich es wissen wollte, habe ich auch mal gefragt…und siehe an, mit freundlichem Lächeln bekam ich eine Zigarette überreicht. Mehr sag ich dazu nicht.

Der Platz, an dem Marco und ich heute Morgen gesessen haben ist nun überfüllt. In der ganzen Stadt gibt es nun Demonstrationen und Informationen gegen und für alles Mögliche.

Ich stehe etwas zu früh dort und komme mir verloren vor. Wieder diese Zweifel…kommt Marco? Finde ich ihn in diesen Menschenmassen? Und dann, genau Punkt zwei Uhr steht er vor mir. „Da bist du ja“ sage ich. „Na klar“ sagt er, „das haben wir doch ausgemacht.“ So einfach geht das. Ich möchte gerne wissen, wieso Marco in diese Situation geraten ist, dass er auf der Straße lebt. Aber komischerweise frage ich ihn das nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das gar nicht wichtig ist.

Er wirkt angeschlagen. Der Alkohol verfehlt seine Wirkung nicht und außerdem hat er sich die Tablette rein gepfiffen.

Er will mir was zeigen. Sein Zuhause. Sein Bett. Ich überlege schon, wie ich in der Obdachlosenunterkunft die Erlaubnis bekomme zu fotografieren. Wir gehen etwas raus aus dem Trubel der Stadt. In Seitengassen, wo er ein paar Leute grüßt und mir erzählt, wer ihn wann verprügeln wollte, wer ihn mit dem Messer bedroht hat wegen Kohle, wer ganz okay ist und vieles mehr. Wir gehen vorbei an seinem „Wohnzimmer“ wie er es nennt. Eine Begegnungsstätte für Obdachlose, wo sie sich waschen können, Fernsehen schauen, soziale Kontakte knüpfen können, Hilfe bekommen, eine Meldeadresse haben, Wäsche waschen können und auch Kleidung bekommen. Ich frage mich, wieso wir daran vorbeigehen. Dachte ich doch, dass er mir genau das zeigen will.

Und dann fällt uns ein, dass wir ja noch die Themen umsetzen müssen. „Das macht Freude, dass macht Spaß“

 

Ich grüble, wenn man so ein Leben führt, was macht dann noch Freude und Spaß? Marco weiß auch nicht so recht eine Antwort, erzählt mir aber dann, dass er gerne Sport macht und bastelt.

Wir treffen eine Gruppe junger Leute, die Spaß haben. Sie tragen alle Anzüge mit Weihnachtsmotiven. Auf einem Bollerwagen ziehen sie einen Weihnachtsbaum hinterher. Sie erzählen uns, dass sie Half Xmas feiern. Heute ist der 24.Juni, und es ist noch ein halbes Jahr bis Weihnachten. Sachen gibt´s.. Das passt doch zum Thema. Sie füllen Becher mit Glühwein und stoßen mit Marco an. Tja…“das macht Freude, das macht Spaß“… Marco kann kaum noch gerade stehen.

Wir verabschieden uns und gehen weiter. Unter einer Brücke bleibt Marco stehen und sagt: „Das ist mein Bett.“ Ohne Emotionen, eine einfache Feststellung. Eine Pappe, die er an die Seite geräumt hat, ist seine Matratze. Auf der anderen Seite schläft sein Kumpel. Ein alter Pizzakarton steht da noch von gestern Abend. Der Rest einer weggeschmissenen Pizza war sein Abendbrot. „Die war lecker!“ sagt er. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag atme ich tief durch und verfluche mich selbst, weil ich viel zu oft vergesse, wie gut es mir doch geht! Verfluchter Mist…warum verschließen wir immer wieder die Augen vor so vielem, was um uns herum los ist. Ziehen uns zurück in unseren Luxus und verurteilen, dass uns andere was wegnehmen könnten. Was sind wir für eine Gesellschaft. Wo ist die Nächstenliebe, gibt es sie noch? Ach was sind wir doch sozial. Und ich weiß in diesem Moment genau, dass auch ich wieder in meinen Wohlstandstrott zurückfallen werde.

Während ich über all das nachsinne holt mich Marco aus meinen Gedanken zurück unter die Brücke. „Was ist das nächste Thema?“ fragt er.

Ich schaue nach. „Auf und nieder, immer wieder“. Irgendwie passend. Wir machen eine Doppelbelichtung. Liegend in seinem „Bett“ und sitzend auf der „Bettkante“… auf und nieder, wie sein Leben.

Das nächste Thema…“Wartezeit: ab hier noch 45 Minuten.“ Ich schaue auf die Uhr 15.14 Uhr. Um 16.00 Uhr ist Aufnahmeschluss beim Fotomarathon. Passt, noch genau 45 Minuten. Marco sitzt da auf seiner Bettkante und wartet auf meine nächste Anweisung. Ich drücke auf den Auslöser. Und nur ich weiß, es sind noch genau 45 Wartezeit bis dieser Marathon endlich ein Ende hat.

Die Jury wird dieses Bild nicht interpretieren können. Die Arbeit in die Metadaten zu schauen werden sie sich nicht machen. Werden sie die ganze Story überhaupt verstehen? Ich glaube nicht. Aber das ist mir sowas von egal…für mich ist plötzlich was ganz anderes wichtig.

Hey“, ruft Marco „eine Aufgabe noch. Was ist das?“ Ihm fallen die Augen zu, er ist vollgedröhnt bis oben hin. „Letzte Runde rückwärts“ Was machen wir da bloß? Ich sehe mich um. Da steht ein Baum. „Halt dich am Baum fest und dreh dich rückwärts im Kreis.“

Das ist unsere letzte Aktion und mehr ist auch nicht mehr möglich. Seine Konzentration und Konstitution habe ich nun mehr als strapaziert. Langsam merke ich ihm eine gewisse Gereiztheit an. Es ist gut, dass alles geschafft ist. Ich weiß gar nicht, ob ich froh bin, was soll ich fühlen? Egal, ich muss zum Abgabeort. Außerdem müssen noch die acht finalen Bilder ausgesucht werden. Ich bin müde, überdreht, überreizt und trotzdem fühle ich mich gut.

Marco und ich verabschieden uns. Er hat tatsächlich seinen Rucksack geschultert und geht zurück in die Stadt. Er bedankt sich bei mir. Und wenn ich Arbeit für ihn hätte, dann soll ich mich doch bitte bei ihm melden. Da springt die Ampel auf Grün und er geht los. Einfach so. Er dreht sich nicht um. Weg ist er. Ich stehe da, sehe ihm hinterher mit meinen aufgewühlten Emotionen und fühle mich einsam.

Was soll´s, ich gehe zurück und gebe meine acht Bilder ab. Mir gefallen sie. Und mir war es noch nie so egal, wie die Bilder anderen Betrachtern gefallen. Diese Bilder sind meine Geschichte.

Wochen später ist die Juryentscheidung gefallen. Wir fahren noch einmal nach Düsseldorf zur Siegerehrung.

Nur die ersten zehn Platzierungen werden bekannt gegeben. Keiner von uns ist darunter. Ich erfahre aber von einem Jurymitglied, dass meine Serie ganz oben immer dabei war und erst recht spät aus den ersten zehn rausgerutscht ist. Marco sieht noch zu gut aus, man vermutete, dass alle Bilder gestellt sind, dass ich meinen Partner einfach mitgeschleppt hätte und der einfach etwas schmuddelig angezogen war. Das brachte mich zum Schmunzeln…

Erst in einer späteren Mail erfuhren wir dann alle unsere Platzierungen. Platz 13, das macht mich schon stolz und gleichzeitig ist es mir immr noch völlig egal. Diese Erfahrung kann man mit nicht mit einer Juryentscheidung bewerten!

Ich wünsche Marco alles Gute für sein Leben! Falls ihn zufällig jemand trifft, grüßt ihn ganz lieb von mir!

Und gebt ihm eine Kippe!