Aufbruch ins Reservat – Die Urlaubsgeschichte von Einem, der mitmusste!

Nun sind wir also wieder mal unterwegs mit unserem ollen Ford Nugget. Vielleicht wird es seine letzte große Tour – im Juni steht der Tüv-Termin an und es ist so gut wie ausgemacht, dass er die Hauptuntersuchung zumindest nicht beim ersten Mal bestehen wird. Der Rost nagt heftig an allen Ecken, und jene Stellen am Unterboden, die einer der Vorbesitzer eher dilettantisch mit Glasfasermatten „repariert“ hatte, dürften das besondere Misstrauen der Prüfer erregen. Hinzu kommt der schwachbrüstige Motor, dem wir vielleicht eine neue Dieselpumpe spendieren müssen, um ihn einigermaßen wieder auf Trab zu bringen. Kurzum: Der Oldie verlangt in seinem 30-sten Jahr nach der Montage nach beträchtlichem Reparaturaufwand und ebensolchen Investitionen, und so lieb wir ihn gewonnen haben, so überlegen wir doch ob diese Investitionen nicht besser bei einem neueren, etwas größeren Campingmobil aufgehoben wären. Eine endgültige Bestandsaufnahme steht aber noch aus, und ebenso die Entscheidung über die Zukunft des Nugget.

Reisen als Therapie

Also schwangen wir uns auf die Achsen, wer weiß wie lange es noch geht. Aber das wir genau jetzt, Mitte April, bei nicht eben sommerlichen, ja nicht einmal frühlingshaften Temperaturen losgefahren sind, hatte noch einen anderen, viel wichtigeren Grund. Es bahnte sich schon in den vergangenen Wochen an: Heike wurde zunehmend dünnhäutiger, gereizter, unzufriedener, auf Krawall gebürstet. Man verwendet ja dafür gerne die Metapher von der Fliege an der Wand, die als Auslöser für handfesten Knatsch sorgt. Bei uns manifestiert sich diese „Fliege“ vor allem in Gestalt von Brotkrümeln auf der Anrichte oder im Spülbecken. Wenn Heike sich mehr als zweimal am Tag darüber aufregt, wird es Zeit etwas zu unternehmen, und das meine ich nicht ironisch. Ich könnte natürlich die Krümel auch einfach öfter mal weg machen, aber das würde das Grundproblem nicht lösen – hier ist nun wieder feine Ironie im Spiel.

Die kaschubische Seele

Das alles hat mit Heikes ihren kaschubischen Wurzeln zu tun – wem dieser Zusammenhang neu ist, dem empfehle ich dringend die Beiträge aus dem vergangenen Jahr zu lesen, als wir mit unserem Nugget auf Frankreich-Tour waren. Ich kann die Details ja nicht immer wiederholen, werde sie aber der Übersichtlichkeit halber mal in einem eigenen Text zusammenfassen und diesen dann ggf. verlinken. In der abgelegenen und natürlich fiktiven Hochgebirgsregion, aus der Heikes ebenso fiktive Vorfahren stammen, die als Begründung für ihre gelegentlich seltsamen Verhaltensweisen herhalten müssen, sind die Frauen es nun mal nicht gewohnt, dass sich ihre Männer im Hause aufhalten. Die Nichtsnutze treiben sich entweder in der Weltgeschichte herum, wo sie mit ihren albernen Jobs für den Unterhalt der Familie sorgen, oder sie lümmeln auf der Straße herum, wo sie vorgeben, sich von eben diesen Jobs erholen zu müssen. Jetzt stellt euch vor, so ein Nichtsnutz würde die ganze Zeit auch noch im Haushalt seines kaschubischen Weibes herumlungern, so tun als würde er von dort aus arbeiten und überall seine Krümel hinterlassen. Genau. Das geht nicht lange gut – jedenfalls nicht, ohne Kompensation. Denn das kaschubische Weib ist, anders als sein Lebenspartner, den allein der Beruf notgedrungen in weite Ferne treibt, durchaus abenteuerlustig – es muss ja sonst meistens zuhause bleiben.

Ziel gesucht – und gefunden!

Der langen Rede kurzer Sinn: Die beste Möglichkeit, wieder für mehr Harmonie im Zusammenleben zu sorgen, ist ein kleines Abenteuer, und deshalb schlug ich Anfang April, nach einem Blick auf meinen Terminkalender vor, in der Woche nach Ostern in einen Kurzurlaub aufzubrechen. Der Erfolg stellte sich beinahe sofort ein: Heikes manchmal schon ans Miesepetrige grenzende Stimmung verwandelte sich schlagartig in freudige Erwartung, die Krümel nervten sie nur noch einmal am Tag, und mit Elan widmete sie sich der Suche nach einem geeigneten Reiseziel.  Das durfte aufgrund der Kürze des Urlaubs natürlich nicht allzu weit entfernt liegen, und nach weiteren Überlegungen entschieden wir uns für Holland. Doch wohin – nach Zeeland vielleicht oder ans Ijseelmeer? Mir fiel ein, dass ich in den späten 1990er Jahren mal im Nordholländischen Dünenreservat war. Es liegt grob gesagt zwischen Beverwijk im Süden und Bergen aan Zee im Norden, bietet mit seiner ganz speziellen Landschaft und Natur ideale Möglichkeiten zum Radeln, Wandern und Fotografieren, und gerade die beiden Letztgenannten gehören zu Heikes Leidenschaften. Schnell war ein geeigneter Campingplatz nahe der Ortschaft Castricum gefunden und gebucht, Camping Geversduin, gut ausgestattet, sehr schön mitten im Reservat gelegen, auch vom Preis her akzeptabel und auf Hundebesitzer eingestellt. Denn natürlich wollten wir unsere beiden Hundedamen Lissy und Gina nicht zuhause lassen.

Vor der Entspannung steht der Stress

So weit, so gut. Dennoch gerieten die Tage vor der Abfahrt für mich noch einmal zur Nervenprobe. Denn natürlich kann Heike auch in einen Kurzurlaub nicht ohne ausführliche, geradezu generalstabsmäßige Vorbereitung aufbrechen. Im Geiste höre ich in diesem Moment Heike sagen: „Du hättest doch wieder die Hälfte vergessen“ und „Es ist doch schön, in ein sauberes, aufgeräumtes Zuhause zurückzukehren“, und mit beidem hat sie vermutlich recht. Aber die Art und Weise, wie sie ihren Vorstellungen Geltung verschafft, kann doch ganz schön anstrengend sein, vor allem wenn sie mit Vorwürfen handwerklicher Unfähigkeit und Faulheit verknüpft sind. Ich sage mir dann immer: Der Urlaub wird es schon richten. Augen zu und durch.

Ich muss gestehen: Natürlich hat sie auch hier nicht ganz Unrecht. Ich bin mindestens so faul wie sie, und das ich nicht der geborene Handwerker bin, war mir schon immer klar. Obwohl ich einen Metallberuf erlernte und ein wenn schon nicht herausragender, so doch ganz passabler Werkzeugmacher wurde, ja sogar gelegentlich dem Hobbymodellbau fröne, hatte ich mit FREIWILLIGER Handarbeit nie viel im Sinn. Schon gar nicht in Haus und Garten. Ich habe weder die Geschicklichkeit dafür noch das Verlangen danach. Zwei linke Hände oder, wie mein Vater früher immer mutmaßte: Ein fauler Sack der seine Unfähigkeit nur vorschützte um von lästiger Arbeit entbunden zu werden. Das ist natürlich Quatsch, auch wenn Heike gelegentlich argwöhnt, er könne recht gehabt haben. Ich bin ein Mann der Theorie und des Wortes, der sich im Geiste in fernste Galaxien und kleinste Dimensionen zu bewegen vermag, aber zu blöd ist einen Nagel gerade einzuschlagen. Dazu stehe ich, auch wenn das nicht in manch tradiertes Männerbild passen will.

Der Träger der Räder

Heike ist in solchen Belangen erheblich praktischer veranlagt, was vor allem dann zu Zusammenstößen führt, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlt. Ich will das am Beispiel des Fahrradträgers verdeutlichen, den wir uns aus unerfindlichen Gründen unbedingt vor der Abreise noch zulegen wollten. Wir fanden über das Internet so ein Teil, das man auf die Anhängerkupplung montieren kann, für kleines Geld und kauften es. Die Montage erwies sich aufgrund der besonderen Verhältnisse am Nugget (sehr kurzer Haken = wenig Platz) als nicht ganz einfach, aber was ich gar nicht auf dem Schirm hatte war, dass die Befestigung der Räder auf dem Träger selbst zum Problem werden könnte. Ich war davon ausgegangen, dass die Konstruktion universell verwendbar wäre und sich auch Doofen sofort erschließen würde – zumindest hätte ich sie so gemacht. Nun ja. Definiere „doof“. Die Situation am Morgen der Abfahrt, als wie die Räder aufladen wollten, könnt ihr euch vorstellen. „Ich dachte du hättest das ausprobiert“, schnaubte Heike und ich dachte bei mir, das ich das auch getan hätte wenn ich geahnt hätte das hier ein Problem vorliegen könnte, sagte das aber nicht, weil es Blödsinn war, denn man probiert ja etwas aus um festzustellen ob es ein Problem gibt. Nichtsnutz. Ferne Galaxien. Wir haben es aber hingekriegt, und natürlich war es Heike, die als erste das Befestigungsprinzip verstanden hatte. Dass wir die Räder im Urlaub kaum benutzen werden, steht auf einem anderen Blatt. Aber immerhin waren wir nun unterwegs!

Aprilnächte sind kalt!

Nun haben wir also unseren Stellplatz auf dem Campingplatz Geversduin bezogen. Es gibt hier einen eigenen Bereich für Hundehalter, mit Gassi-Pfad und Hundekot-Beutel-Spender. Wir haben einen Standort direkt gegenüber einem Sanitärgebäude erwischt, wo es rund um die Uhr heißes Wasser gibt. Erfahrene Camper mit Kenntnissen südeuropäischer Gegebenheiten wissen, dass dies ein besonderer Luxus ist. Toiletten und Duschen sind modern, sauber und gepflegt. Trotz der frühen Jahreszeit ist der Platz gut frequentiert: In Deutschland sind noch Osterferien, und das hört man allenthalben.

Die Hinfahrt haben wir in einem Rutsch und ohne besondere Ereignisse absolviert. Natürlich haben wir zuvor verschiedene Wetterdienste befragt, um uns auf die Witterung hier an der holländischen See einzustellen. Heike frohlockte, weil es hier tagsüber wenigstens ein paar Grad wärmer als im kalten Hagen sein sollte (was sich auch bewahrheitete) und auch mehr Sonnenschein war angesagt. Nun, diese Aussichten bereiteten uns aber nicht auf die Nachttemperaturen vor, die uns hier erwarteten und schon am ersten Abend den Wert einer weiteren kleinen Investition erwiesen, deren Bedeutung ich heute weit vor der des Fahrradträgers einschätzen würde. Es handelt sich um einen kleinen primitiven Elektro-Heizlüfter für schlappe 12 Euro, ohne den wir jämmerlich gefroren hätten. Es wird euch wahrscheinlich ebenso schwerfallen wie es uns schwergefallen ist, euch auszumalen, was Temperaturen um die drei Grad im Freien, an einem Campingtisch sitzend, tatsächlich bedeuten. Auch, dass die Situation im geschlossenen Campingbus kaum besser wurde – aber immerhin hielt der Wagen den Wind ab. Selbst die Hunde wollten AUF KEINEN FALL draußen schlafen, obwohl wir ihnen in der Hoffnung auf mehr Platz für uns selbst dort ein gemütliches Plätzchen eingerichtet hatten. Warum, das wurde mir sofort klar, als vor der Nase der Tiere selbst im Nugget noch Wolken kondensierenden Atems standen – und zwar verdächtig lange. Meiner vorsichtig vorgetragenen Befürchtung, dabei könne es sich möglicherweise um ein Bose-Einstein-Kondensat handeln, jenen seltsamen Aggregatzustand, den Materie kurz vor dem absoluten Nullpunkt annimmt, wies Heike natürlich brüsk zurück. Aber selbst der hartgesottenen Kaschubin wurde es allmählich kalt, und so kam der Heizlüfter zum Einsatz. Dank dieses kleinen Gerätes überstanden wir diese Nacht und die folgenden ohne Frostbeulen und abgesplitterte, weil infolge der Kälte tiefgefrorene Gliedmaßen.

Den Wanderer belohnt die Natur

Der Tag darauf entschädigte uns wenn schon nicht mit viel Wärme so doch mit viel Sonne, in der es sich dann zeitweise sogar ohne Jacke aushalten ließ. Nach dem Frühstück in unserem neuen, geräumigen Vorzelt hielt nichts mehr Heike davon ab, die Gegend zu erkunden. Ahnungslos sagte ich zu, sie dabei zu begleiten. Machen wir es kurz, damit es nicht nach einem Lamento klingt: Wir waren fast vier Stunden zu Fuß unterwegs, bewältigten dabei fast 12 Kilometer, was eigentlich nicht viel ist außer man verbringt ansonsten viel Zeit sitzend vor dem Computer. Es hat mich eigentlich überrascht, dass ich abgesehen von ein bisschen Rückenschmerz den Gewaltmarsch gut überstanden hab, auch wenn ich mir natürlich gelegentlich vorgetragenen schwachen Protest und leises Gejammer nicht verkneifen konnte. Ich muss aber zugeben, dass wir auf dem Marsch durch die Dünenlandschaft bis ans Meer viele tolle Aussichten, viel Natur und eine eindrucksvolle Landschaft gesehen haben.

Eine ganz besondere Landschaft

Das Dünenreservat ist Naturschutzgebiet und Nutzfläche in einem. Es besteht aus lichten Wäldern, bestehend aus Eichen, Kiefern, Birken, Ahornen und anderen Baumarten sowie vielen kleinen Lichtungen und größeren Grasflächen in den weiter vom Meer entfernten Zonen. Die strandnahen Dünenbereiche weisen hingegen eine niedrige gemischte Vegetation aus Gräsern, einigen wenigen Büschen und anderen niedrig wachsenden, salztoleranten Pflanzen auf. Die Wälder wirken durchaus urig: Abgestorbene Bäume und totes Holz werden nicht entnommen, sondern geben ihnen einen besonderen Charme. Tatsächlich sind einige Waldbereiche abseits der Wege beinahe undurchdringlich. Eine Besonderheit sind die Hochland-Rinder, die in einigen Bereichen des Reservates das ganze Jahr über fast wild und freilaufend leben. Sie fungieren als Landschaftsgärtner, weil sie durch ihre Beweidung auf natürliche Weise die Bäume in Schach halten und verhindern, dass diese alle freien Flächen bewachsen. Ein angenehmer Nebeneffekt ist – Vegetarier und Veganer sollten jetzt zwei Zeilen überspringen – dass das Fleisch überzähliger Rinder in den umliegenden Restaurants landet: In Form von saftigen Steaks oder köstlichen Burgern (zu letzteren schreibt Heike etwas), alles natürlich absolut Bio. Ebenso gibt es auch wilde Pferde im Dünenreservat, die ein besonderes Schauspiel bieten: Wo sieht man solche Tiere schon, wie sie ungebändigt durch die Landschaft galoppieren und ganz Pferd sein dürfen.

Mosaik aus Land und Wasser

Süßwasserteiche durchziehen Teile des Reservates, auf und an denen viele verschiedene Vögel leben: Blessrallen, viele Entenarten, Schwäne, Gänse, zahllose Singvögel, Krähen, Dohlen, Fasane und eher hör- als sichtbar auch Spechte, die in den vielen abgestorbenen Bäumen ideale Nistmöglichkeiten finden. Auch Fische muss es in rauen Mengen geben, wenn man die Zahl der Kormorane zugrunde legt, die es hier gibt. Eine ganze Kolonie kann sich davon offenbar gut ernähren. Hunderte der schwarzen Vögel bevölkern laut schnatternd und krächzend die kleinen Gehölze in der Nähe der Wasserflächen, viele in der schon ikonischen Pose mit weit ausgebreiteten Flügeln, die sie auf diese Weise nach der Jagd trocknen. Genutzt wird das Dünenreservates aber nicht nur als touristische Attraktion für Urlauber und als Naherholungsgebiet für die Einheimischen aus den umliegenden Ortschaften, sondern vor allem zur Trinkwassergewinnung. Unter den Dünen, in ca. 70 Meter Tiefe, gibt es ein großes Süßwasserreservoir. Es entstand durch versickerten Regen, der vom Sand gereinigt und gefiltert wurde. Die Niederländer nutzen es seit jeher als Trinkwasser, aber da durch das Wachstum der Bevölkerung das vorhandene Wasser und der natürliche Nachschub auf Dauer nicht reicht, leitet man inzwischen Wasser aus der Ijssel und dem Rhein in das Dünenreservat und lässt es dort versickern. Pumpen fördern es wieder an die Oberfläche, wo es die Teiche sowie die Trinkwassernetze speist.

Auch Faulenzen gehört zum Urlaub

So ein Tag an der frischen Luft macht hungrig und müde, und so ließen wir den ersten Tag mit einem deftigen Abendbrot, bestehend aus diesem typisch holländischen, luftigen Brot (natürlich Vollkorn!) sowie verschiedenen im hiesigen Supermarkt eingekauften Wurst- und Käsespezialitäten ausklingen. Danach gab es vor dem Einschlafen noch eine gemütlichen Lesestunde im aufgewärmten Nugget. Während mir schon erste Formulierungen für den Blogtext, den ich zu Schreiben gedachte, durch den Kopf gingen, plante Heike schon voller Eifer ihre nächste Tour durch das Reservat. Davon wird sie selber schreiben.